Als ich mir „White City“ bei seinem Erscheinen 1985 kaufte, hatte ich keine Ahnung, wer Pete Townshend ist, und dass er der Kopf von „The Who“ war. Ich hatte mich lediglich in „Face the Face“ verliebt. Wahrscheinlich hatte ich das Video bei „Formel Eins“ gesehen. Wo sonst konnte man Mitte der 80er Musikvideos schauen?
„Face the Face“ hatte eine sich langsam aufbauende Energie, die dann plötzlich explodiert. Petes Stimme, die mich schon damals faszinierte. Seine aggressive vorgetragenen Befehle „FACE THE FACE, RACE THE RACE“. Einmal gehört, wollte der Song nicht mehr aus meinem Kopf. Ich musste das Album haben!


Beim ersten Hören der Platte war ich dann erst einmal konsterniert. Das war gar nicht das, was ich erwartet hatte. „Face the Face“ ist ein Solitär auf auf „White City“. Kein anderer Song dort gleich ihm. Oder doch? Ich war 15 und kam gerade aus einer heftigen Rock‘n’Roll-Phase, in der ich neben meinen geliebten Elvis auch Jerry Lee Lewis, Little Richard, Buddy Holly, Eddie Cochran und Gene Vincent förmlich verschlungen habe.
Damit hatte „White City“ nun gar nichts zu tun. Die seltsamen Keyboard-Flächen, das krachende Schlagzeug, die einsamen Gitarren, die Sound-Wände, der ebenso wütende, wie auch melancholische Klang von Petes Stimme. Das alles musste ich erst einmal verarbeiten. Und doch fühlte ich mich trotz dieser Fremdheit augenblicklich zum Album hingezogen. Es machte mich förmlich süchtig nach diesem Sound.
Noch heute kann ich jedes Lied mitsingen. Kann ich die Melodien aus meinem Kopf abrufen. Habe ich die Bilder im Kopf, welche die Songs in mir erzeugt haben. Wenn ich mal auf Dienstreise in einer der großen Städte war und weit oben ein Zimmer hatte, dann ging mir abends immer gleich „From my window I see roads / lead to darkness / leading home“ durch den Sinn.
„White City“ begleitet mich so seit exakt 40 Jahren meines Lebens und wird weiterhin regelmäßig aufgelegt. Und noch immer wird es nicht langweilig, entdecke ich neue Facetten, kommen die Gefühle und Gedanken von damals hoch.
Die auf der Rückseite des Albums abgedruckte Geschichte habe ich damals gelesen, aber nicht so wirklich verstanden, bzw. hatte mich nicht so sehr interessiert. Und den dazugehörigen 60-minütigen Film von Richard Lowenstein habe ich bis heute nicht gesehen. Aber das macht gar nichts, denn ich habe etwas Angst, er zerstört meine ganz eigene Vision von „White City“.


Lustigerweise dachte ich auch jahrelang, die Fotos auf dem Inner Sleeve und Back Cover würden David Gilmore (der bei zwei Tracks die Gitarren beisteuert) neben Pete Townshend zeigen. Der sieht aber bekanntermaßen ganz anders aus und auf den Fotos ist der Schauspieler Andrew Wilde zu sehen, der die Hauptrolle im Video spielt.
2006 kaufte ich mir das Reissue des Albums auf CD, als auch Townshends anderen Solo-Platten in schöner Aufmachung und mit Bonus-Tracks auf CD erschienen. Die Bonustracks „Night School“ und „Save it for later“ fand ich zwar gut, aber fielen gegenüber der Songs auf dem Album meiner Meinung nach deutlich ab. Auch der 12‘‘-Mix von „Hiding Out“ war nichts, was ich auf „White City“ vermisst hätte.
Zu Townshends Band „The Who“ führte mich lustigerweise dann gar nicht „White City“, sondern einerseits das coole „Maximum Rhythm & Blues“-Poster in meiner späteren Stamm-Disco „Woody’s“, andererseits meine Beschäftigung mit den Rolling Stones und mein damit einhergehend plötzlich aufkeimendes Interesse an dem Sound der 60s. Das war so um 1989 herum. Und da kickten „The Who“ dann die Stones bald vom Thron. Und ein Album von „The Who“ muss ich dann später in dieser Rubrik auch noch erwähnen. Aber beim nächsten Mal wird es musikalisch erst einmal etwas härter.
