In gerade einmal zwei Wochen startet das Überseefestival 2024. Eine gute Gelegenheit einen Blick zurück auf das Vorjahr zu werfen.
Das Überseefestival hat seit vielen Jahren einen großen Platz in meinem Herzen. Zwei Tage zeigt die Bremer Musikszene, was sie drauf hat. Es gibt tolle Newcomer zu entdecken, alte Hase und Leute, die man immer schon mal sehen wollte oder bisher nur vom Namen kannte. Dazu ein Füllhorn an Stilen und Entdeckungen. Alles umsonst und draußen in entspannter, freundlicher und musikbegeisterter Atmosphäre. Ein Traum. Dieses Jahr überraschend von August auf Juni vorgezogen hatte ich Befürchtungen, dass die verkürzte Vorlaufzeit Einbußen an der Qualität mit sich bringen würde. Weit gefehlt! Musikalisch und Organisatorisch war es wieder top! Eigentlich hatte ich nur den Samstag eingeplant, dann konnte ich mich aber doch schon Freitag raus schleichen und kam zu den letzten Klängen von MISCHWALD an. Die Band hatte mich beim Online-Vorhören mit ihrem 90er-Westcoast-Punk-Stil nicht überzeugen können. Live gefiel mir das schon besser, aber zum richtig warm werden fehlte dann doch leider die Zeit.
So startete das Festival eigentlich erst mit den wunderbaren ELSEN. Fünf Damen im allerbesten Alter, die den jungen mal Hüpfern zeigen, wo die Bartel den Most holt. Englischsprachiger Punkrock war angesagt mit viel Energie und Spielfreude. Besonders mochte ich den Einsatz der Synthie-Orgel, die dem ganzen noch eine Schippe Früh-Eighties mitgab. Lohnt sehr und macht Freude.
Dann SHELTER FROM THE SUN. Hat mir auch sehr gut gefallen. Fluffiger Stoner-Rock (gibt es so etwas? JA!) mit tollen weiblichem Gesang, teilweise dezenten Keyboardflächen und schön entspannt grummelnden Hooks.
Weiter ging es eine Nummer härter mit WATCH OUT STAMPEDE. Metalcore ist ja nicht so mein Ding. Ich mag diesen tiefen Grunzgesang einfach nicht. Und dieser Wechsel zwischen dem „bösen“ Shouter und dem melodischen Sänger finde ich auf die Dauer nicht originell. Aber WATCH OUT STAMPEDE fand ich trotzdem klasse. Was daran lag, dass die Jungs einfach sympathisch und witzig sind, verdammt viel Energie auf die Bühne bringen und wissen, wie man das Publikum zum Kochen bringt. Zudem hat der Shouter mehr Bandbreite bei dem was er tut als viele seiner Kollegen. So entlocken sie sogar einem Metalcore-Muffel wie mir ein breites Lächeln. Starker Auftritt!
Danach habe ich mal das „Aquarium“ ausprobiert. Die Bands treten in einem umgebauten Container mit Glasscheiben auf und ihre Musik wird per Kopfhörer (20 Euro Pfand, lange Schlange an der Ausgabe – wurde aber fix abgearbeitet) in die Ohren der Lauschenden geblasen. Nette Idee, aber für mich sprang der Funken nicht über. Die Distanz zur Band war irgendwie zu groß, das Setting interessant, aber auch seltsam. Gehört habe ich FRUSTWUT. Auf den Promofotos ein verträumter, schlanker, junger Mann mit langen roten Haaren, Gesichtsbemalung und Gitarre, was für mich erst abschreckend nach Accustic-Folk-Metal aussah. Alles Lüge. Okay, jung und rothaarig stimmt. Aber es ist eine (sehr junge) Band die ziemlich guten Punk mit kritischen deutschen Texten macht. Noch unbehauen und unfertig, aber mit viel Energie, Wut und Leidenschaft. Für das „Aquarium“ also nicht unbedingt geeignet. Werde ich aber im Auge behalten.
Daher schnell Kopfhörer ab und noch CAMP JASON mitgenommen. Wieder Metalcore. Diesmal nur mit einem Shouter. Kam ich aber nicht mehr rein, weshalb mich das dann leider kalt ließ. Meine Begleitung mochte die aber. Ich hätte mich da wohl auf einen Act konzentrieren sollen.
Dann kamen schon die „Geheimen Ehrengäste“. Und wer konnte das schon sein? Wie vermutet: TEAM SCHEISSE. Und das hatte sich scheinbar gut herum gesprochen, denn mittlerweile war es rappelvoll. Leider zieht diese – wie ich finde einfach großartige – Band auch viel Publikum an, welches eher Ballermann-Klientel entspricht. Also Spaß haben um jeden Preis und ohne Rücksicht auf andere, weil – man ist ja so geil und gut drauf. Ich vermute mal, die intelligenten ironisch-gesellschaftskritischen Botschaften unter den sofort ins Ohr gehenden Melodien und Mitgröhl-fähigen Texten gehen bei denen komplett unter – wie ich an einigen „Prachtexemplaren“ neben mir gut beobachten konnte/musste. Nichtsdestotrotz sind TEAM SCHEISSE eine Macht. Gerade live. Ich liebe die sehr. Was nicht für alle ihre Fans gilt. Ich vermute mal, genau aus diesem Grunde wurde ihr Auftritt auch geheim gehalten.
Insgesamt war der erste Tag des Festivals wieder eine wunderbare Sache. Einiges Manko: Am Bierstand musste man teilweise eine halbe Stunde anstehen, weshalb ich häufig auf das Getränk zwischendurch verzichtet habe. Kulinarisches Highlight: Bali’ku Streetfood. Man, sind die LECKER!!! Soviel Werbung muss sein! Danke auch an meine Begleitung für das Bierholen, nette Gespräche und überhaupt.
Für den zweiten Tag des Überseefestival gab es für mich eine Premiere. Erstmals war ich mit meinem damals noch 10-jährigen Sohn da. Ein richtiger Vater-Sohn-Nachmittag mit toller Musik. Und das klappte auch gut und hat ihm gefallen. Auch, wenn mein ursprünglicher Plan später etwas durcheinander geriet. Aber der Reihe nach. Die Idee den Sohnemann mitzunehmen hatte ich, als ich las, dass VLADI WOSTOK den Opener um 17:00 Uhr wären. Die Erfinder des Ruski-Surf (heute Dance-Surf), haben mich 2017 auf dem Überseefestival komplett weggeblasen. Heute sind sie ruhiger (auch ihre letzten beiden Scheiben), aber live immer noch toll. Keine Unbekannten in Bremen, gelang es ihnen dann auch bereits zur „toten Uhrzeit“ einiges an Publikum zu ziehen und dieses bestens auf den weiteren Tag einzustimmen. Ein wenig fehlt mir die unfassbare Präsenz und der Wahnsinn der frühen Tage, aber trotzdem hatte ich meinen Spaß und der Sohn mochte es auch.
Danach TOO RED BOYS. Endlich auch den Bandnamen begriffen. Wunderbar rotzig-schraddeliger Deutsch-Punk, der durch eine Posaune noch ordentlich Volumen und Melodie bekommt. Interessante Mischung.
Dann große Überraschung: Bei der Band THE CAVE entdeckte ich zwei bekannte. Fabio & Lucy hatten bei der Eröffnungsfeier der Helga gespielt, einer Kulturkneipe bei der ich mich seit drei Jahren ehrenamtlich im Bereich Konzerte betätige. Hier waren sie mit Band und deutlich rockiger unterwegs. Es war schön und spannend Lucys tolle Stimme einmal in diesem Umfeld zu erleben. Das passte sehr gut. Die Musik hatte ganz leichte End 60s-Psychadelic-Einschläge. Gerne wieder. Dem Sohn gefiel THE CAVE sogar am Besten.
Danach etwas Kuddelmudel, weil ich ihn eigentlich nach Hause bringen wollte, er aber auf dem Weg zum Ausgang einen Freund traf und wir dann ausmachten, dass dessen Eltern (DANKE!) ihn später mit nach Hause nehmen. Da MÀPHIL mit seiner James-Blake/Jamie-Woon-mäßigen Musik und Gesang nicht so meins war (obwohl für Fans des Genres sicherlich toll), habe ich dort abgebrochen und mich aufs Schnacken verlegt.
Spaßig und sympathisch fand ich dann SALZ. Eine sehr junge Band, die etwas von Schüler-Kombo hatte. Offensichtlich erst einmal aus Spaß an der Sache dabei, wurde noch kein einheitlicher Stil (zumindest musikalisch) gefunden und einfach mal alles reingeworfen, was den Bandmitgliedern Spaß macht. Electro-Punk, Chanson, Alternative-Rock, Pop… noch ein wenig unausgegoren, aber mit spürbarem Potential. Ich bin gespannt, was da noch kommt.
Dann den Sohn verabschiedet, um sich voll in die ungeheure Energie und Power von BRATHERING geworfen. Wow, das ging gut ab. Krachende Gitarren, brachiale Drums, kraftvoller Gesang. Die Songs gegen vom Ohr gleich in den Bauch. Nennt sich Post-Punk, hat aber auch deutliche Stoner- und Metal-Elemente. Eine wilde, aggressive Mischung, die viel Laune macht.
Im Anschluss KATER, die sich sehr mögen wollte. Aber irgendwie konnte ich nicht warm werden. Warum weiß ich auch nicht. Eigentlich war alles da, was ich mag. Und das war auch spiel-technisch hervorragend. Alternativ-Rock, der manchmal auch in härtere Sphären vorbeischaute. Aber es machte bei mir nicht „Klick“. Schade, aber das Publikum war begeistert und das ist die Hauptsache.
Dafür gab es dann für mich noch mal einen absoluten Höhepunkt: Die fantastischen SUUD! Instrumentaler Post-Rock, der an Long Distance Calling erinnerte, aber trotzdem ganz was eigenes war. Vertrackte Melodien, die einen in einen hypnotischen Rausch versetzten und von mir aus bis in die frühen Morgenstunden hätten gehen können. Faszinierend auch, wie toll das zahlreiche Publikum mitging. Das war ja keine Musik für jedermann, aber hat die Leute sauber abgeholt. Toll! Das sollte dann auch reichen.
Auf die letzten beiden Acts hatte ich keine große Lust mehr und wollte auch mit diesem Hochgefühl das Festival für mich beenden. Außerdem war ich mittlerweile auch gut durch. Also noch sehr nett mit einem guten Bekannten unterhalten, den Merch-Stand ausgecheckt und dann sollte es eigentlich nach Hause gehen. Leider hatte jemand (ich hoffe mal aus Versehen) mein Fahrrad mit an seines angeschlossen. Also noch warten, ob die Person eventuell aufkreuzt. Dann nach 30 Minuten das Handtuch geworfen und auf schmerzenden Füßen nach Hause. Aber das war der Tag allemal wert!